Pflichtteilsergänzungsanspruch: Keine Verlängerung der Zehnjahresfrist bei Vorbehalt eines Wohnungsrechts

Nahe Angehörige wie der Ehegatte oder Kinder haben ein Pflichtteilsrecht, das nur in besonderen Ausnahmefällen entzogen werden kann. Die Pflichtteilsberechtigten können die Hälfte des gesetzlichen Erbteils am Nachlass des Erblassers beanspruchen. Dieses Recht wäre ausgehöhlt, wenn der Erblasser noch zu Lebzeiten den künftigen Nachlass schmälert, indem er Vermögen verschenkt, etwa an den, der später als sein Erbe vorgesehen ist.

Dem wirkt die Regelung über die Pflichtteilsergänzung entgegen. Diese besagt, dass dem Nachlass alle Schenkungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Ableben getätigt hat, hinzugerechnet werden. Schenkungen im letzten Jahr vor dem Tod werden zu 100 %, Schenkungen im vorletzten Jahr vor dem Tode zu 90 % etc. hinzugerechnet.

Auch hier kann es Umgehungsversuche geben. Deshalb haben die Gerichte schon früh den Grundsatz entwickelt, dass bei der Übertragung eines Grundstücks nur dann von einer Schenkung gesprochen werden kann, wenn sich der spätere Erblasser der vollen Herrschaft über das Anwesen entäußert. Überträgt er lediglich eine „leere Hülle“, etwa indem er sich unwiderruflich alle Nutzungen des Objektes vorbehält, liegt keine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsergänzungsrechts vor. Hat also der Erblasser eine Immobilie mehr als 10 Jahr vor seinem Ableben an einen Dritten übertragen und hat er sich gleichwohl alle Nutzungen vorbehalten, etwa auf Grund eines Nießbrauchrechts, gilt dies nicht als Schenkung. Der Wert des vor vielen Jahren übertragenen Objektes wird bei der Pflichtteilsberechnung dem Nachlass ohne jede Einschränkung hinzu gerechnet.

Umstritten war, ob ein solcher Sonderfall schon dann vorliegt, wenn der spätere Erblasser eine Immobilie übertragen und sich dabei ein Wohnrecht vorbehalten hat. Dies hat nun der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 29.06.2016 (Az: IV ZR 474/15) geklärt. Auch wenn sich der spätere Erblasser bei einer Grundstücksübertragung ein Wohnrecht am Objekt vorbehält, liegt keine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsrechts vor. Erfolgte die Übertragung mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall, bleibt der übertragene Grundbesitz bei der Pflichtteilsberechnung außer Ansatz; wird er zwischen einem und zehn Jahren vor dem Erbfall übertragen, wird der Wert des Objektes nur zeitanteilig hinzugerechnet. Dass heißt aber auch, dass es nicht zu einer Erhöhung des Pflichtteilsrechts kommt, wenn der Erblasser mehr als ein Jahr vor seinem Tode eine Immobilie unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts übertragen hatte.

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