Neue Pflegestufen – Hat Ihre Pflegeverpflichtung noch Gültigkeit?

In Übergabeverträgen, insbesondere bei der Hofübergabe im Rahmen vorweggenommener Erbfolge, wird häufig eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten getroffen, die den Umfang einer zukünftigen Pflegeverpflichtung regelt. Viele Notarurkunden nehmen dabei auf die Pflegestufen nach § 15 SGB VI Bezug.

Was wird mit den Vertrags- und Pflegeverpflichtungen in Altverträgen nach Inkrafttreten der Änderung des zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PFG II), welches seit dem 01.01.2017 gilt?

Die neue Fassung von § 15 SGB VI sieht nicht mehr wie die alte Fassung drei Pflegestufen, sondern insgesamt fünf Pflegegrade vor. Die bisherige Orientierung am Zeitaufwand für die Pflege (§ 15 Abs. 3 SGB VI a.F.) ist ersatzlos weggefallen. Die Einordnung in die fünf verschiedenen Pflegegrade erfolgt nach einem Punktesystem, das die Selbstständigkeit und Fähigkeit der zu pflegenden Person im Einzelfall besser berücksichtigen soll. Die Prüfung der Pflegebedürftigkeit erfolgt anhand eines neuen Begutachtungssystems, welches insgesamt in sechs Module aufgeteilt ist und insgesamt 64 Bewertungskriterien sowie zwei zusätzliche Kriterien für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit von Kindern enthält. Im Gegensatz zu früher geht es bei der Begutachtung nicht mehr um die Vergabe eines Minutenwerts für die notwendigen Pflegeleistungen, sondern um die Einordnung anhand bestimmter Punktwerte, welche für jedes Bewertungskriterium vergeben werden. Anhand der erreichten Gesamtpunktwerte werden die zu Pflegenden dann in einen der fünf Pflegegrade eingeordnet. Dabei bezeichnet der Pflegegrad 1 eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, Pflegegrad 2 eine erhebliche, Pflegegrad 3 eine schwere und Pflegegrad 4 die schwerste Beeinträchtigung. Das neue Pflegestärkungsgesetz bringt folglich einen ganz neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit sich.

Das neue System soll die bisher nur unzureichend berücksichtigte Demenz und andere psychische Erkrankungen bei der Zuordnung zu den Pflegegraden einbeziehen und eine fachlich fundierte und differenzierte, der Schwere der jeweiligen Beeinträchtigung und Fähigkeitsstörung entsprechende Eingruppierung des zu Pflegenden ermöglichen. Für die alten Pflegestufen und Personen, die in diese eingruppiert sind, enthält § 140 SGB VI n.F. eine Übergangsregelung. Die dazu führt, dass Personen, die in einer der Pflegestufen I bis III eingruppiert waren, aber nicht zusätzlich eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz aufweisen, wie folgt in die neuen Pflegegrade übergeleitet werden:

Pflegestufe I entspricht nunmehr Pflegegrad 2, Pflegestufe II entspricht dem Pflegegrad 3 und Pflegestufe III, je nach Pflegefall, Pflegegrad 4 oder höher.

Übergabeverträge, die  Pflegeklauseln enthalten, haben sich vielfach an den alten Pflegestufen (Pflegestufe I bis III) orientiert und in Anlehnung an sie die Pflegeverpflichtung festgelegt.

Was passiert nun durch die Gesetzesänderung mit den alten Klauseln?

Prinzipiell behalten diese Klauseln ihre Gültigkeit. Vielfach enthalten Altverträge den ausdrücklichen Hinweis, dass die zur Zeit des Vertragsschluss gültige Fassung des § 15 SGB VI maßgeblich sein soll, sodass die Pflegeklausel anhand der bei Vertragsabschluss geltenden Regelungen der alten Pflegestufen vorzunehmen ist.

Fehlt jedoch ein ausdrücklicher Hinweis, ist die Rechtslage unsicher. Im Regelfall sollte eine ergänzende Vertragsauslegung ebenfalls zu dem Ergebnis führen, dass sich die Vereinbarung auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezieht. Die Vertragschließenden dürften grundsätzlich den Umfang der Pflegeleistung entsprechend der zum Zeitpunkt des Vertragsschluss gelten und damit ihm bekannten Fassung der damaligen Pflegeklauseln vereinbart haben.

Doch auch bei eindeutigem Bezug auf die alte Rechtslage könnten sich nach der Neufassung Schwierigkeiten ergeben, denn der medizinischen Dienst wird keine weitere Einstufung nach den einzelnen Pflegestufen vornehmen, so dass der, der in einem Vertrag z.B. stehen hat, dass er verpflichtet ist, bis zur Pflegestufe II „Pflegeleistungen an den Übergeber zu leisten“, das Problem hat, dass der medizinische Dienst, wenn bei Vertragsabschluss die Übergeber nicht in eine alte Pflegestufe eingestuft waren, zukünftig nicht mehr in alte Pflegestufen einstufen wird. Zwischen den Beteiligten kann es zu Streit kommen, ob die neue Pflegestufe dem Maß der vertraglichen Verpflichtung entspricht, das bei Vertragsabschluss vereinbart worden ist.

Um diese Streitigkeiten zu vermeiden, ist im Einzelfall anzuraten, den Vertrag entsprechend anzupassen und zu ergänzen.

Bei neu abzuschließenden Verträgen ist darauf zu achten, dass zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten auf die seit dem 01.01.2017 neu geltenden Pflegegrade abgestellt wird. Da sich aus dem Gesetz jedoch nichtmehr ohne weiteres ergibt, in welchem Umfang Verpflichtungen geschuldet sind, sollte der zeitliche Umfang der Pflegeverpflichtung und der genaue Grad der Verrichtungsbereiche wie z.B. Körperpflege, Ernährung, Mobilität, häusliche Hilfe etc. genauestens beschrieben werden. Wichtig ist von vornherein, die geschuldeten Tätigkeiten und die durchschnittlich täglich hierfür aufzuwendenden Zeiten genauer zu konkretisieren. Eine Einschränkung des zeitlichen Aufwands ergibt sich nicht mehr aus dem Gesetzeswortlaut. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass gerade bei Demenzerkrankung ohne weitergehende körperliche Einschränkung unter Umständen durchaus eine Rund-um-die-Uhr– Betreuung erforderlich sein kann, was von Berufstätigen gerade in der Landwirtschaft persönlich nicht erbracht werden kann.

Um hier zukünftig Auseinandersetzungen in der Familie zu vermeiden, ist es daher dringend anzuraten, die Pflegeverpflichtung in Bezug auf den aktuellen medizinischen Gesundheitszustand und die nunmehr vorliegenden Pflegegrade abzustimmen. Überlegt werden sollte auch, ob tatsächlich gewünscht wird, dass der Übernehmer in eigener Person die Pflegeleistung erbringt. Ist allen Beteiligten klar, dass dies gerade nicht gewünscht wird, sind Regelungen, die eine teilweise Kostenübernahme regeln, eventuell die sinnvollere Lösung.

Sollten Sie Hilfe bei der Abfassung von Pflegeklauseln benötigen bzw. Fragen zu bereits bestehenden Pflegeklauseln haben, rufen Sie mich gerne an.

 

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