Die Auslobung von Rohwursterzeugnissen als „glutenfrei“ stellt eine irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) dar, da dem Verbraucher damit suggeriert wird, dass diese Rohwürste im Gegensatz zu denen der Konkurrenz über spezielle, gesündere Eigenschaften verfügen. Rohwürste sind jedoch grundsätzlich glutenfrei, sodass es dieses besonderen Hinweises nicht bedarf. Dies entschied das OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 01.07.2019, Az.: 13 LA 11/19.
Die Herstellerin verschiedener Zwiebelmettwürste (Rohwürste), welche mit den Angaben „ohne künstliche Aromen“, „laktosefrei“ und „glutenfrei“ auf der Verpackung beworben wurden, hatte sich gegen einen Bußgeldbescheid gewandt. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) hatte nach einer lebensmittelrechtlichen Kontrolle die Auslobung als „glutenfrei“ beanstandet, da darin eine verbotene Werbung mit Selbstverständlichkeiten liege. „Glutenfrei“ sei für den Verbraucher irreführend und somit unzulässig. Die von der Herstellerin dagegen erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück wurde mit Urteil vom 11. Dezember 2018 abgewiesen. Daraufhin ging diese in Berufung.
Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung zurück. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c LMIV dürfen Lebensinformationen nicht irreführend sein, insbesondere nicht zu verstehen geben, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichne, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen. Dies habe die Klägerin mit der Hervorhebung des Nichtvorhandenseins von Gluten auf der Verpackung der von ihr erzeugten Rohwürste getan. Die Glutenfreiheit sei kein besonderes Merkmal vergleichbarer Lebensmittel. Dabei sei für die Vergleichbarkeit von Rohwürsten vor allem irrelevant, ob diese schnittfest oder streichfähig seien. Vergleichbar seien Lebensmittel dann, wenn sie in vergleichbarer Weise hergestellt worden seien, vergleichbare Zutaten enthalten und vom Endverbraucher als vergleichbar angesehen werden. Daher liege in der Auslobung eine unzulässige Werbung mit Selbstverständlichkeiten, denn Rohwürste seien grundsätzlich glutenfrei.
Der Einwand der Herstellerin, dass nach der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 828/2014 eine Auslobung als „glutenfrei“ ausdrücklich zugelassen sei, wenn das Erzeugnis einen Glutengehalt von höchstens 20 mg/kg aufweise, könne diese Argumentation nicht entkräften, da auch diese Auslobungszulassung nach Art. 36 Abs. 2 Buchst. a LMIV unter dem Vorbehalt des Irreführungsverbots stehe. Durch die Werbung der Herstellerin werde bei den Verbrauchern gerade der Eindruck erweckt, dass bei anderen Erzeugnissen derselben Art die Ausbildung der Eigenschaft nicht vorhanden sei, obgleich dies nicht zutreffe, weil diese Eigenschaft bei allen Erzeugnissen dieser Art vorhanden sei. Maßgeblich sei dafür die Sicht bzw. die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers. Dieser weiß regelmäßig gerade nicht, dass Rohwürste und Rohwursterzeugnisse von Natur aus glutenfrei seien, die Auslobung als „glutenfrei“ also nur auf Selbstverständlichkeiten hinweise. Dies begründe die Gefahr, dass der Verbraucher die Produkte aufgrund der Werbung mit Selbstverständlichkeiten gegenüber vergleichbaren Lebensmitteln für vorzugswürdig halte.
Die Annahme der Herstellerin, dass eine irreführende Werbung abzulehnen sei, da ein besonderes Interesse von Verbrauchern bestehe, die an einer Glutenunverträglichkeit litten und dass gerade auf diese Verbraucher bei der Bewertung als irreführende Werbung abzustellen sei, hat das Gericht ebenfalls widerlegt. Ein besonderes Interesse sei zu verneinen, denn auch in dieser Hinsicht sei auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Die von der Klägerin hergestellten und in den Verkehr gebrachten Rohwursterzeugnisse seien Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs und damit unterschiedslos für alle Verbraucher und nicht nur für Verbraucher mit einer Glutenunverträglichkeit bestimmt. Hierfür sprächen bereits die weiteren werblichen Angaben „ohne künstliche Aromen“ und „laktosefrei“. Ein besonderes Informationsinteresse aller Endverbraucher an der Angabe der Selbstverständlichkeit, dass Rohwürste glutenfrei seien, sei indes nicht festzustellen. Zudem sei es der Gruppe der Verbraucher mit einer Glutenunverträglichkeit durchaus möglich und zumutbar, sich anhand des Zutatenverzeichnisses über das allergene Potenzial eines Lebensmittels zu informieren. Die Berufung der Herstellerin blieb folglich erfolgslos.