Eine ganzjährige Anbindehaltung von Mastbullen verstößt gegen die tierschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG, wonach derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss. Zur Konkretisierung dieser Vorschrift kann auf die Empfehlungen der Tierschutzleitlinie für Mastrinderhaltung zurückgegriffen werden. Dies entschied der Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 29.07.2019, AZ: 11 ME 218/19.
Ein Landwirt, der einen Nebenerwerbsbetrieb mit Rindern führte und seine Mastbullen in ganzjähriger Anbindehaltung hielt, erhielt im März 2019 nach einer amtstierärztlichen Kontrolle eine behördliche Anordnung, die ihm auferlegte, seine Kälber, die älter als acht Wochen seien, ab sofort in Gruppen zu halten, den Kälbern über zwei Wochen dauerhaft Zugang zu Wasser in ausreichender Menge und Qualität zu gewährleisten, innerhalb von acht Wochen sicherzustellen, dass seine Mastbullen nicht länger als sechs Monate ihrer Lebenszeit angebunden würden und sicherzustellen, dass die Tiere im Kopfbereich einen ausreichenden Freiraum für die Kopfbewegung hätten. Für den Fall der Nichtbefolgung drohte ihm die Behörde ein Zwangsgeld an. Daraufhin erhob der Landwirt Klage.
Das Gericht teilte die Auffassung der Behörde. Diese dürfte gemäß § 16a I 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 und Nr. 2 TierSchG aufgrund der festgestellten Verstöße die notwendigen Anordnungen erlassen und die erforderlichen Maßnahmen treffen. Vorliegend bestünde ein Verstoß gegen den § 2 Nr. 1 TierSchG. Dort ist normiert, dass derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen muss. Die Möglichkeit des Tieres zur artgemäßen Bewegung darf nach Nr. 2 des § 2 TierSchG nicht so eingeschränkt werden, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden zugefügt werden. Diesen Anforderungen genüge die vom Landwirten praktizierte ganzjährige Anbindehaltung nicht. Dabei griff das Gericht auf Tierschutzleitlinien und Tierschutzleitlinien für die Milchkuhhaltung zurück, für welche ein verlässlicher und gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisstand gelte, sodass diesen ein sachverständlicher Charakter zukomme. Nach diesen Leitlinien schränke eine dauerhafte Anbindehaltung die wesentlichen arteigenen Verhaltensweisen wie insbesondere das Bewegungs-, Sozial- und Komfortverhalten der Rinder erheblich ein. Da Rinder von Natur aus soziale Tiere seien, die in Herden mit klaren Hierarchiestrukturen leben und unter natürlichen Verhältnissen täglich viele Kilometer zurücklegen, sei eine ausreichende Bewegungsaktivität und somit ein entsprechendes Platzangebot für die Gesunderhaltung und das Wohlbefinden der Tiere unerlässlich. Auch die Stellungnahme der Tierärztlichen Vereinigung für den Tierschutz e.V. (TVT) führte erläuternd aus, dass die Anbindehaltung zu deutlichen Einschränkungen artgerechter Verhaltensweisen der Rinder führe. Insbesondere leide das Komfortverhalten, das Sozialverhalten, das Ausruhverhalten, das Erkundungs- und Meideverhalten, das Lokomotionsverhalten sowie das Futteraufnahmeverhalten unter dieser Haltungsart. Allen Funktionskreisen des natürlichen Rinderverhaltens werde folglich nicht ausreichend Rechnung getragen. Dennoch dürfe die Anbindehaltung für die Mastbullen nicht vollständig untersagt, sondern lediglich auf sechs Monate der Lebenszeit begrenzt werden. Dies entspreche ebenfalls den oben genannten Tierschutzleitlinien. Insbesondere könne danach die Anbindehaltung unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin bestehen, wenn der Umbau in eine Laufstallhaltung mit einem unverhältnismäßigem Aufwand verbunden sei. Allerdings müsse in diesem Fall das Bewegungsdefizit der Tiere auf andere Weise hinreichend ausgeglichen werden, beispielsweise durch saisonalen Weidegang oder ganzjähriger Gewährung eines zweistündigen Zugangs zu einem Laufhof/Auslauf oder einer Weide, insbesondere bei weiblichen Tieren. Männliche Tiere dürften maximal sechs Monate ihrer Lebenszeit angebunden sein, wobei ihnen auch als Jungtiere ausreichend Weidegang ermöglicht werden sollte.
Trotz der festgestellten Verstöße gab das Gericht der Klage des Landwirten letztlich aufgrund von Ermessensfehlen der Behörde statt. Bei der behördlichen Wahl der konkreten Maßnahmen seien nicht alle betroffenen Belange berücksichtigt und wesentliche Gesichtspunkte falsch gewichtet worden. Insbesondere die Wahrung der acht-Wochen-Frist der getroffenen Anordnung, in welcher der Landwirt sicherzustellen hat, dass die Mastbullen nicht länger als sechs Monate angebunden gehalten werden, sei in Anbetracht der baulichen Situation unmöglich einzuhalten. Ein Zugang zu einem Laufhof sei nicht vorhanden und eine bauliche Umgestaltung des Betriebes beanspruche schon aufgrund des erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens erheblich mehr Zeit als acht Wochen. Zudem komme auch die Möglichkeit der Freilandhaltung direkt am Betriebssitz zumindest für die älteren Mastbullen nicht in Betracht, da diese nicht bzw. nicht ohne Risiken in einer Gruppe auf der Wieder gehalten werden könnten. Die für die älteren Mastbullen einzig in Frage kommende Alternative des sofortigen Verkaufens und Schlachtens sei unverhältnismäßig. Auch die Weidehaltung von Jungbullen sei ohne größere Gefahren für das Betreuungspersonal nur bis zu einem Alter von zwölf Monaten möglich. Schließlich könne auch nicht hinreichend geklärt werden, dass den Tieren durch die Einschränkung der Möglichkeit zur artgemäßen Bewegung Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Das Gericht erklärte die behördliche Anordnung aus diesen Gründen für insgesamt rechtswidrig.