Haftungsverteilung bei Kollision mit landwirtschaftlichem Gespann

Die Haftung eines Autofahrers tritt bei einer Kollision mit einem überbreiten landwirtschaftlichen Gespann auf einer schmalen Straße ohne Fahrbahnmarkierungen nicht hinter der Haftung des Landwirten für die von dem Gespann ausgehenden Betriebsgefahr zurück, wenn der Landwirt sein Fahrzeug so weit nach rechts steuerte, wie es tatsächlich möglich ist. Dies entschied das Oberlandesgericht Celle in seinem Urteil vom 04.03.2020, Az.: 14 U 182/19.

Im September 2017 kam es bei Dunkelheit auf einer 4,95 m breiten Gemeindestraße ohne Fahrbahnmarkierungen zu einer Kollision zwischen einem PKW und einem 2,95 m breiten landwirtschaftlichen Gespann (Schlepper und Anhänger). Der Sohn des Eigentümers des Schlepper war auf der besagten Straße mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 35 km/h unterwegs, als ihm der PKW der Geschädigten mit einer Geschwindigkeit von 75 bis 85 km/h entgegenkam. Die auf der Straße zugelassene Höchstgeschwindigkeit lag bei 80 km/h. In einer leichten Rechtskurve stieß der PKW gegen den vorderen linken Reifen des Anhängers, woraufhin er sich überschlug und in den Straßengraben geschleudert wurde. Es entstand ein erheblicher Sach- und Personenschaden. Der Landwirt machte Schadenersatzansprüche gegen die Haftpflichtversicherung der Geschädigten geltend. Die Haftpflichtversicherung erstattete jedoch nur 50% der geltend gemachten Schadensersatzansprüche. Der Schaden sei durch die von einem Schlepper ausgehende Betriebsgefahr mit verursacht worden. Der Landwirt erhob Klage und verlangte Ersatz des gesamten ihm entstandenen Schadens. Das Landgericht Verden wies die Klage in erster Instanz ab. Der Landwirt legte Berufung ein.

Das Oberlandesgericht Celle änderte das Urteil des Landgerichts teilweise ab und korrigierte die Haftungsquote des Landwirten auf 30%.

Die Fahrerin des PKW habe den Unfall überwiegend verursacht, weil sie ihre Fahrgeschwindigkeit nicht den vorherrschenden Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen angepasst hatte. Daher sei selbst die Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit bzw. eine nur geringe Geschwindigkeitsüberschreitung von 5 km/h als Verstoß zu werten. Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen in einer leichten Rechtskurve seien selbst 75 km/h zu schnell, um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO zu genügen. Insbesondere habe die Versicherungsnehmerin auch das ihr entgegenkommende Treckergespann von weitem aus sehen können, da es vorschriftsmäßig beleuchtet gewesen sei (Lampen, Reflektortafeln, Begrenzungsleuchten). Die Fahrerin des PKW hätte daher einkalkulieren müssen, dass das für sie im Gegenverkehr erkennbare Gespann überbreit war und ihr weniger Platz zur Verfügung stand als bei einem entgegenkommenden PKW. Sie hätte die Geschwindigkeit folglich reduzieren müssen. Im Dunkeln und bei erkennbarem Gegenverkehr auf einer so schmalen Straße müssten Autofahrer „auf halbe Sicht“ fahren, d.h. so langsam, dass sie nach der Hälfte der überschaubaren Strecke anhalten könnten. Vorliegend habe die Autofahrerin jedoch überhaupt nicht gebremst. Zudem habe sie gegen das nach § 2 II StVO bestehende Rechtsfahrgebot verstoßen, indem sie mittig auf ihrer Fahrbahnhälfte fuhr. Dies sei ihr anzulasten.

Der Sohn des Landwirts und Fahrer des Gespanns sei hingegen laut Unfallgutachten so weit rechts gefahren, wie es ihm möglich war, sodass er sogar schon auf den unbefestigten Seitenstreifen ausweichen musste. Folglich hätte der PKW das Gespann kollisionsfrei passieren können, hätte sich die Autofahrerin an das Rechtsfahrgebot und die angepasste Geschwindigkeit gehalten.

Ein vollständiger Schadensersatz stehe dem Kläger dennoch nicht zu. Bei einem überbreiten landwirtschaftlichen Gespann mit einem Gewicht von 18 t müsse sich der Fahrzeughalter die in § 7 StVG normierte Betriebsgefahr anrechnen lassen, die auch eine verschuldensunabhängige Haftung begründen könne. Der Eigentümer des Schleppers könne daher lediglich 70 % seiner ihm entstandenen Schäden ersetzt verlangen.

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